Der Begriff „Versicherter Beruf“ in der Berufsunfähigkeitsversicherung
Der Beruf des Versicherungsnehmers
Der Versicherungsnehmer ist HNO-Arzt und war seit Januar 2000, zunächst in einer Gemeinschaftspraxis und dann in einer Einzelpraxis, selbständig tätig. Ab dem Jahr 2000 kam es bei ihm zu einer kompletten Arthrose des rechten Schultergelenks und dadurch bedingt zu Einschränkungen seiner beruflichen Tätigkeit. Seit 2005 führte der Versicherungsnehmer bei seinen Patienten keine ambulanten chirurgischen Eingriffe und Operationen mehr durch. Er stellte im Jahre 2006 eine Assistenzärztin ein, die kleinere ambulante Eingriffe vornahm und weitere ärztliche Tätigkeiten ausübte, zu denen er selbst aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr in der Lage war. Daher beantragte der Versicherungsnehmer im Jahre 2006 Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Der Versicherer erkannte seine Leistungspflicht an und erbrachte die vertraglich vereinbarten Leistungen.
Leidensbedingter Berufswechsel
Im Jahre 2010 teilte der Versicherungsnehmer seiner Berufsunfähigkeitsversicherung mit, dass seine Praxis in ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) übergegangen und er seitdem bei dessen Trägerunternehmen angestellt sei. Außerdem war er zum ärztlichen Leiter des MVZ bestellt worden. Daraufhin leitete der Versicherer ein Nachprüfungsverfahren ein und kündigte an ab Mitte 2011 seine Leistungen einzustellen. Bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit liege nicht mehr vor, weil die vom Versicherungsnehmer seit 2010 ausgeübte Tätigkeit seine bisherige Lebensstellung wahre.
Nachdem seine Tätigkeit im MVZ Anfang 2013 aufgrund einer Aufhebungsvereinbarung endete, klagte der Versicherungsnehmer auf erneute Zahlung von Berufsunfähigkeitsrente. Das Landgericht wies seine Klage ab. Auf die Berufung des Klägers entschied das Oberlandesgericht, dass er berufsunfähig im Sinne des Versicherungsvertrages ist und gab ihm überwiegend recht. Hiergegen zog der Versicherer vor den BGH.
Versicherter Beruf ist nicht das allgemeine Berufsbild
Der BGH bestätigte das Urteil des OLG, wonach beim Versicherungsnehmer ab Beendigung seiner Tätigkeit im MVZ die Voraussetzungen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen erneut vorlagen. Der versicherte Beruf des Klägers sei auch zum Zeitpunkt dieses neuen Versicherungsfalles die Tätigkeit eines selbständigen HNO-Arztes gewesen, wie er ihn ausübte, bevor er aufgrund der Arthrose des rechten Schultergelenks seine ärztliche Tätigkeit einschränken musste und insbesondere keine Operationen mehr durchführte. Dass der Kläger diese Tätigkeit als selbständiger HNO-Arzt auch nach Ende seiner Tätigkeit im MVZ gesundheitlich weiterhin nicht ausüben konnte, hatte der Versicherer auch gar nicht bestritten. Der BGH betonte auch erneut, dass für die Prüfung, ob bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit eingetreten ist, grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung, so wie sie „in gesunden Tagen“ ausgestaltet war, maßgebend ist. D.h. solange die Leistungsfähigkeit des Versicherungsnehmers noch nicht eingeschränkt war. Der Versicherer könne auch nicht ein allgemeines Berufsbild anstelle der konkreten, in gesunden Tagen zuletzt ausgeübten Tätigkeit zum versicherten Beruf machen. Anderenfalls würde Berufsunfähigkeit erst dann eintreten, wenn dem Versicherungsnehmer das gesamte allgemeine Berufsbild verschlossen wäre. Die aufgrund der Arthrose eingeschränkte ärztliche Tätigkeit des Klägers, zunächst in seiner HNO-Praxis und dann im MVZ, wurde damit nicht zum versicherten Beruf.
Der BGH stärkt die Rechte von Versicherungsnehmern
Der BGH hat damit Versicherungsnehmern weiter „den Rücken gestärkt“. Wenn ein Berufswechsel vor Eintritt des Versicherungsfalles ausschließlich leidensbedingt war, bleibt Ausgangspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit der vor diesem Wechsel ausgeübte Beruf. Dies gilt auch dann, wenn der Versicherungsnehmer nach dem erstmaligen Eintritt des Versicherungsfalles zunächst weiterhin eine leidensbedingt eingeschränkte Tätigkeit ausgeübt hat und nach Beendigung dieser Tätigkeit erneut Versicherungsansprüche geltend macht.